Frankensteins Sohn (1939)

Verfasst von Bloody Jörg am 1. Mai 2019

Das Jahrzehnt, das mit “Frankenstein” begann, sollte durch die Beendigung der Trilogie auch wieder mit ihm ausklingen. Acht Jahre nach der ersten Adaption des Stoffes von Mary Shelley kam mit “Son of Frankenstein” 1939 der dritte und zugleich letzte Teil in die Lichtspielhäuser, an dem auch Boris Karloff als Monster mitwirkte. Herausgekommen ist letztendlich ein Film, der sich in erster Linie bemüht, den Mythos “Frankenstein” unsterblich zu machen, anstatt eine intelligente Fortführung der von James Whale so eindrucksvoll dirigierten Geschichte anzupeilen.

Dass ausgerechnet diese merklich gehaltlosere Fortsetzung zum längsten englischsprachigen Film aus der Universal-Monsterreihe werden würde, mutet etwas paradox an, hätten “Frankenstein” und “Frankensteins Braut” doch eigentlich, sofern man ihren Subtext betrachtet, mehr Substanz gehabt, um die Laufzeit anschwellen zu lassen. Da sich die Qualität dieser Filme jedoch eher jenseits des bloßen Filmmaterials ergab, ist die angestiegene Laufzeit des zweiten Sequels im Umkehreffekt als Kompensation für das fehlende Potenzial zu verstehen, auch über das eigentliche Filmvergnügen hinaus einen Diskurs zu entfachen. Rowland V. Lees Arbeit ist ein selbstbezogenes, auf die Wirkung seiner Figur vertrauendes Werk, das nichts weiter versucht als während des laufenden Filmes zu unterhalten - ohne, dass im Anschluss besonders viel beim Betrachter zurückbleiben würde.

Der Generationenwechsel durch die erbliche Übertragung der Frankensteinthematik auf den eigenen Sohn - das ist ein bequemer Weg, den allzu viele von Universal in Auftrag gegebenen Sequels beanspruchten und der heute mit dem Titelzusatz “Son of...” (Oder entsprechend “...’s Daughter”) fast schon kultverdächtig retro wirkt. Es zeugt hier aber zunächst davon, dass die Sache thematisch eigentlich schon gegessen ist - wozu jetzt noch einen Sohn einbeziehen, von dem bislang rein gar nichts bekannt war? Der von Basil Rathbone verkörperte Baron Wolf von Frankenstein wirkt als Filmfigur deswegen von Beginn an auch wie eine nicht fertig gedachte Konstruktion. Er zieht mit seiner Familie von weit her in den Ort, an dem sein Vater gegen seinen Willen die Gemeinde in einen Alptraum gezerrt hat mit seinen Experimenten. Warum zieht der selbstverständlich von der Gemeinde nicht gerade willkommen geheißene Sohn nun in diesen Ort? Über die Hintergründe des Sohnes ist auch nur wenig bekannt: Scheint er generell durchaus zumindest über wissenschaftliches Geschick zu verfügen, so zeigt er anfangs doch nur wenig Interesse daran, selbst in die Experimente einzusteigen, zumal zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß, dass das Monster überlebt hat.

Wo schon die ganze Ausgangskonstellation so künstlich präpariert daherkommt, kann man sich wenigstens nicht über die wirklich hübsch konstruierte Lage vor Ort beschweren, denn die Lebensweise des vor Jahren durch Frankensteins Monster gepeinigten Volkes wird mit einem solchen Auge fürs Detail rekonstruiert, dass man bei der Ankunft des Barons unter Blitz, Donner und Regen die dicke Luft förmlich atmen kann. Die vergangenen Jahre sind hier ebenso intensiv spürbar wie der keinesfalls vergangene Schmerz über die Verluste an Menschenleben durch die Kreatur. Misstrauische Altobere des Dorfes, persönlich traumatisierte Inspektoren und ein ominöser, in der Vergangenheit liegender Fall, der von Ygor handelt, einem zurückgezogen lebenden hässlichen alten Kauz, über den die Kinder sich Gruselgeschichten erzählen. Die Geschichte von dem missglückten Versuch, ihn zu hängen, schwebt über dem Dorf wie eine nicht verschwinden wollende Dunstwolke. Obwohl oder gerade weil viele Details nicht erklärt werden (was genau hat es eigentlich mit dieser Geschichte auf sich, und wer sind die acht Henker, die nun einer nach dem anderen fallen wie die Fliegen ob ihres Verbrechens?), steht die Atmosphäre zu diesem Zeitpunkt im gelungenen Maße ganz dicht im Raum und versprüht surreale Eindrücke.

Dazu trägt auch das dekonstruktivistische Setdesign bei, das teilweise vollkommen auf den Zweck reduziert gestaltet wurde - ein wichtiger, weil oft gebrauchter Handlungsort im Gebäude Frankensteins ist der Zwischenraum, der abgesehen von einer grotesk kahlen Treppenbaut aus Holz (im Übrigen mit hoher Sturzgefahr, was gerade dann auffällt, wenn man den kleinen Sohn des Barons darauf herumlaufen sieht) nur noch weiße Wände zu bieten hat. Auch Außen- und Innenansicht der ehemaligen, halb zerstörten Laborkuppel des Vaters wirken teilweise unwirklich und unterstützen so die Wirkung des Szenarios, das darauf aus ist, eine unbehagliche Ruhe vor dem Sturm zu verbildlichen.

In den Dialogen zwischen den vielen Interessengruppen im Film - darunter (jeweils als eine Gruppe) der Baron, seine Frau, Ygor, der Polizeiinspektor und Frankensteins Monster - werden nun die veränderten (gesunkenen) Ansprüche an die Materie deutlich. “Son of Frankenstein” kann man im Gegensatz zu den beiden Vorgängern nun getrost als Monster-B-Movie bezeichnen, denn das Monster, das sich im zweiten Teil so weit entwickelt hatte, soll wieder auf seine ehrfurchterregende Ausstrahlung reduziert werden, frei von langsam aufkeimenden kognitiven Prozessen, die sich im Hirn der zum Leben erweckten Ansammlung aus totem Fleisch bildeten. Das beginnt mit einer Unterhaltung zwischen Frankensteins Sohn und seiner Frau im Zug auf dem Weg zum neuen Heim, die irgendwann wie folgt verläuft: (Baron)“Hah! Und wie mein Vater für diesen Fehler büßen musste. Sein Name wurde zum Synonym für Horror und Monster. Neun von zehn Menschen nennen diese Kreatur aus den Experimenten meines Vaters...” (Stationsansage)“...Frankenstein!” Das sind offensichtlich kleine Spitzen und Anspielungen auf den Status, den die Idee “Frankenstein” nach acht Jahren Leinwandpräsenz und zwei Filmen bei der Bevölkerung hatte. Das klobige Monster war längst eine Ikone geworden, und so sah sich Universal für das zweite Sequel wohl auch gezwungen, dieses Fakt in die Handlung einzubauen. Immer wieder begegnen uns diese direkten Bezüge - manchmal mehr, manchmal weniger offensichtlich in den Dialogen versteckt. In der Konsequenz wird das Monster, das erst sehr spät selbst in den Handlungsverlauf eingreift, zu einem unsterblichen Wesen deklariert - mit der Verletzlichkeit und dem Mitleid, das es bislang immer erregt hatte, war es spätestens an diesem Punkt vorbei. Erstmals spielte Boris Karloff wirklich etwas, das die Bezeichnung “Monster” verdient hatte. Frankensteins Sohn wird bei seinen Analysen nicht müde zu betonen, dass dieses Ding rein gar nichts mit einem Menschen gemein hat, in keiner Weise, was dann durch eine Analyse des Blutes quasi wissenschaftlich verifiziert wird.

Leider hat dieser Schritt fatale Konsequenzen für Karloffs Figur. Denn die herrlichen Fortschritte, die in “Bride of Frankenstein” erzielt wurden, werden nun einfach ignoriert. Mag man die Fähigkeit des Monsters zu sprechen vielleicht auch als einen Schritt zu weit empfunden haben, so ist dies dennoch eine Vorgabe, die im Vorgänger nun einmal gemacht wurde. Die Konsequenz ist nun die, dass das Monster diesmal so farblos bleibt wie nie zuvor. Und das liegt nicht daran, dass man sich im letzten Moment doch noch gegen eine Verfilmung in Technicolor und für den Schwarzweißfilm entschieden hatte. Es liegt daran, dass die Rolle des Monsters durch seine unverzeihliche Reduzierung auf ein reines Werkzeug ihm auch das nimmt, was eigentlich verstärkt in den Vordergrund gestellt werden sollte: seine mysteriöse Ausstrahlung, sein faszinierendes Wesen, seine Ikonenhaftigkeit. Davon ist nichts mehr zu spüren, seit das Monster zu einem unsterblichen Geschöpf erklärt wurde, seit es seine innere Zerrissenheit verlor.

Béla Lugosi, der einst noch die Rolle des Monsters abgelehnt hatte, kann sich nun mit seinem schrägen Ygor-Charakter ganz nach vorne chargieren, was ihm insofern gelingt, als dieser alte Kauz in Sachen Eyecatcher das fokussierende Element des Films ist. Versteckt hinter struppigem Bartgewächs und schiefer Zahnprothese sind es nur die funkelnden Augen und die exzentrischen Gesten, die auf den Schauspieler Lugosi hinweisen. Dieser Ygor ist schon ein faszinierender kleiner Wicht, allerdings beweist Lugosi teilweise auch schauspielerischen Starrsinn, sind kleine Momente eines “Dracula” doch immer wieder auch in Ygor zu erhaschen - was aber nicht an der Wirkung dieser Figur rüttelt. Allerdings bleibt sie doch zu schwach geschrieben, speziell was ihre Vergangenheit betrifft, um ein wirklich sinnvoller Baustein im Gefüge zu sein. Dennoch reaktivierte man Lugosi für eine erneute Darstellung des ehemaligen Laufburschen Frankensteins in “Ghost of Frankenstein”.

Es bleibt ganz einfach hinzuweisen auf die gelungene Darstellung der Situation im Dorf, die mit surrealen Momenten um sich wirft. Die Tatsache, dass man bei Universal die Wirkung des Stoffes auf das Publikum erkannt hat und dies in die Dialoge einbauen ließ, klingt auch gar nicht so ungeschickt, so dass “Son of Frankenstein” wenigstens noch ein ansprechend strukturierter und mit interessanten Charakteren ausgestatteter Gruselfilm geworden ist, der durchaus seine Momente hat. Nichtsdestotrotz muss man sich im Klaren darüber sein, dass das Niveau einen Kopfsprung macht und ins Bodenlose fällt, und mit ihr die Faszination für das Monster - denn wo “Frankenstein”, um mal etwas abstrakt zu werden, das Telefon erfand und “Bride of Frankenstein” das Handy, da hantiert “Son of Frankenstein” wieder mit zwei Dosen und einer Schnur.